Kurz vor seinem 75. Geburtstag spricht Paul Auster über sein Verhältnis zur Sterblichkeit, seine Biografie des Schriftstellers Stephen Crane und darüber, wie Politik einen manchmal jünger machen kann.

Süddeutsche Zeitung, 28.1.2022

Paul Auster gilt als einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller unserer Zeit. Auster hatte seinen Durchbruch im Jahr 1982 mit seiner Memoire „Die Erfindung der Einsamkeit“ gefolgt vom internationalen Bestseller „New York Trilogie“. Auster hat seither mehr als 30 Bücher in 40 Sprachen veröffentlicht und das Drehbuch zu zwei Filmen geschrieben. Sein jüngster Roman „4321“ erschien im Jahr 2017 und ist über weite Strecken autobiografisch. Sein jüngstes Buch ist eine Monografie zum amerikanischen Schriftsteller Stephen Crane, einem Chronisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Auster lebt in Brooklyn mit seiner Frau, der Schriftstellerin Siri Hustvedt. Am 3. Februar wird Auster 75.

Mr. Auster, Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Vielen Dank! Es berührt mich sehr, dass Sie daran denken.

Was bedeutet es für Sie, dass Sie jetzt 75 werden?

Ich habe das bislang, ehrlich gesagt, verdrängt. Es kommt mir so vor, als wäre ich bis vor Kurzem immer der jüngste im Raum gewesen. Aber das ist jetzt wohl endgültig vorbei. Es ist schon seltsam, wie schnell man plötzlich als alt wahr genommen wird, auch wenn man sich noch lange nicht alt fühlt. Ich denke immer noch nach vorne, an das, was ich noch tun will und blicke viel weniger zurück.

Stimmt das, dass Sie sich jung fühlen? Ich habe gelesen, dass sie beim Schreiben von 4321 ständig Angst hatten, das Manuskript nicht mehr fertig zu bekommen und deshalb doppelt so schnell geschrieben haben, wie sonst.

Das ist wahr, aber das hatte weniger mit dem Alter zu tun, als mit dieser mystischen Grenze, die ich genau zu jener Zeit überschritt, als ich das Buch angefangen habe. Ich bin damals 66 geworden und das war das Alter, in dem mein Vater gestorben ist. Es ist ein eigenartiges Gefühl, älter zu sein, als die eigenen Eltern. Es fühlt sich unnatürlich an. Mein Vater war sehr gesund und hatte sehr plötzlich einen Herzanfall. Ich habe beim Schreiben von 4321 ständig gedacht, dass mir das auch passieren könnte und dass ich mit dem Buch nicht mehr fertig würde. Was könnte es Schlimmeres geben, als einen 900 Seiten dicken Roman zu schreiben und nach 450 Seiten tot umzukippen?

Es ist interessant, dass sie über die Erfahrung sprechen, älter als Ihr Vater zu sein. In Ihrem Film Smoke, der vor 25 Jahren lief, spielen Sie bereits mit dem Thema der verkehrten Zeit. Die Hauptfigur Paul Benjamin behauptet dort, der Sohn des viel jüngeren Rashid zu sein.

Ja, aber der Ursprung dieser Episode ist mein Roman Ghost. Dort gibt es einen Skifahrer, der seinen toten, jüngeren Vater im Eis eingefroren entdeckt. In Smoke erzählt der Schriftsteller, Paul Benjamin dem Teenager Rashid diese Geschichte, die im Übrigen eine wahre Geschichte ist. Also, es stimmt, dass ich über diese Dinge schon lange nachdenke. Aber ich habe das Gefühl, wir haben hier einen schlechten Start erwischt. Lassen sie uns noch einmal von vorne anfangen. Stellen Sie mir doch eine ernsthafte Frage.

Nun, dann formuliere ich das anders. Wie hat sich für Sie die Wahrnehmung der Zeit und der Welt verändert, als sie älter wurden, als ihr Vater?

Ich habe sehr früh im Leben meine Sterblichkeit begriffen. Ich war damals 14 Jahre alt und ich bin mit einer Gruppe von Kindern bei einer Wanderung in ein Gewitter geraten. Der Junge direkt neben mir wurde von einem Blitz getroffen und getötet. Bis zu diesem Augenblick habe ich zwar gewusst, dass ein Moment kommen wird, an dem ich sterben würde, aber das war für mich weit weg. Als nun ein Junge nur Zentimeter von mir entfernt einfach so aus dem Universum ausradiert wurde, hat mich das zutiefst destabilisiert. Der Grund auf dem ich wandelte und von dem ich dachte, er sei fest, stellte sich als das Gegenteil heraus. Daraus habe ich gelernt, dass uns jederzeit alles passieren kann. Ich weiß, das klingt erst einmal banal, aber die meisten von uns leben unser Leben nicht so. Wir verdrängen das ständig.

Und dieses Erlebnis hat sie dauerhaft geprägt.

Das Bewusstsein meiner Sterblichkeit begleitet mich seither permanent und es hatte einen großen Einfluss auf mein Werk. 14 ist ein prägendes Alter, es ist ein Alter, in dem sich das Gehirn verändert. Man ist plötzlich in der Lage, Gedanken zu denken, die man in der Kindheit nicht hat denken können. Man stellt sich die großen metaphysischen Fragen, die Fragen, auf die es keine Antworten gibt und die uns für den Rest unseres Lebens beschäftigen. Ich habe in diesem Alter beschlossen, dass ich Schriftsteller werden möchte und  habe mich gleichzeitig entschieden, dass ich mich nur mit grundsätzlichen, existenziellen Fragen auseinandersetzen möchte.  Das Mysterium, das wir für einen kurzen Moment auf diese Erde gesetzt und dann wieder ersetzt werden, treibt mich an. Im Grunde habe ich nie über etwas anderes geschrieben.

In 4321 beschäftigen Sie sich, wie in anderen Werken auch, mit dem Zufall, damit, wie unvorhersehbare Ereignisse wie etwa ein Blitzschlag den Gang der Dinge völlig verändern können. Fragen Sie sich im Alter von 75 oft, was in ihrem Leben alles hätte sein können, welche Möglichkeiten nicht realisiert wurden?

Natürlich tue ich das. Aber tut das nicht jeder? Wir sind mit der Fähigkeit gesegnet, uns vorzustellen, wie Dinge anders sein könnten. Ich glaube, dass das eine ganz fundamentale Eigenschaft des menschlichen Geistes ist. So treffen wir Entscheidungen, so entwickeln und verändern wir uns. Das gilt auch im gesellschaftlichen Maßstab. Wir leben beispielsweise in einem Land, das Menschen unterdrückt und nur weil wir uns eine bessere Welt vorstellen können, versuchen wir Wandel herbeizuführen.

Aber dann kommen uns Zufälle in die Quere, wie ein Blitzschlag zum Beispiel.

Der Zufall spielt eine enorme Rolle in unserer Existenz aber er ist nicht die einzige Kraft, die uns lenkt. Wir haben die Fähigkeit zu handeln. Jeder/jede ist Autor:in seines/ihres eigenen Lebens auch wenn wir in großem Maße in den Umständen gefangen sind, in die wir hinein geboren wurden.

Also glauben Sie trotz der Macht des Zufalls an den freien Willen.

Nehmen wir an, Sie möchten Arzt werden und Sie tun alles, was man tun muss, um Arzt zu werden aber plötzlich fällt ein enormer Baum auf die Straße, die Sie hinunterfahren. Der Baum ist so groß, dass man nicht darüber klettern kann, also nehmen sie einen Umweg durch den Wald. Aber während sie nun im Wald sind, treffen Sie jemanden, der ihnen einen Zaubertrick zeigt. Sie schauen sich das an und wollen plötzlich kein Arzt mehr sein, Sie wollen, weil dieser Mensch ein Magier ist und etwas tolles gemacht hat, auch Magier sein. Aber, wenn der Baum nie umgefallen wäre, wären Sie nie ein Magier geworden. Die Dinge sind immer kompliziert, es ist immer ein Netzwerk an Kräften und alles ist immer im Fluss. Nehmen Sie den menschlichen Körper. Wissen Sie, wie ungeheuer komplex der ist, wie viele Systeme wir haben - neurologische Systeme, chemische Systeme, muskuläre Systeme und alle die verschiedenen Organe, die unabhängig voneinander aber gleichzeitig zusammen arbeiten und all das ist mit unserem Gehirn verbunden? Und wissen Sie, wie schwer es ist, das alles zu verstehen und dass die Mediziner immer mehr entdecken, was sie nicht verstehen, je mehr sie forschen?

Der Mensch, das Leben, sind für Sie fundamental geheimnisvoll.

Ja, deshalb wird es auch nie Roboter geben, wir haben als Menschen nicht die Fähigkeit, etwas zu konstruieren, dass so wundersam komplex ist, wie wir selbst. Es amüsiert mich immer wenn ich diese automatischen Rasenmäher sehe. Es ist faszinierend, was sie können, bis sie an eine Wand fahren und dann nicht mehr von der Wand weg kommen und irgendwann ist dann ihre Batterie leer.

Sind Sie generell gegenüber der Technologie skeptisch? Sie schreiben noch immer mit einem Kugelschreiber auf Papier und benutzen eine Schreibmaschine. Wir telefonieren heute miteinander, Sie haben gar keinen Computer.

Ach, das ist einfach nur Gewohnheit. Ich habe keine moralischen Vorbehalte gegen Technologie. Ich habe es mit einem Computer versucht, aber es hat mir nicht gefallen. Meine Finger waren nicht froh, sie haben schnell weh getan. Dann bin ich zu meiner Schreibmaschine zurückgekehrt. Ich liebe meine alte Schreibmaschine, eine Olympia. Ich mache mir natürlich große Sorgen, was diese digitale Welt mit uns anrichtet, aber das ist ein riesiges Thema. Das Internet wurde am Anfang als Wunder gepriesen, als großer Einiger der Menschheit, aber jetzt hat es sich als das Gegenteil herausgestellt. Wir sind weiter voneinander entfernt denn je. Wenn ich die Straße herunter laufe und Dutzende von Menschen sehe, die in ihre kleinen Rechtecke starren anstatt sich die Welt um sie herum anzuschauen, dann werde ich depressiv. Der schlimmste Augenblick für mich war, als ich in Paris war. Das ist eigentlich die Stadt, in der die Menschen sich mehr küssen, als irgendwo anders. Ich habe ein dort ein wunderschönes junges Paar gesehen, aber anstatt sich zu küssen oder ihre Arme umeinander zu legen, haben sie auf ihr Rechteck geschaut. Da hat mich eine Welle der Traurigkeit übermannt. Aber wir wollen das nicht ausweiten, ich klinge sonst wie ein alter Griesgram.

Dann reden wir doch über Ihr neues Buch. Sie haben einmal während der Trump Präsidentschaft gesagt, Sie könnten sich auf nichts anderes konzentrieren, als auf das, was in den USA politisch los ist. Trotzdem haben Sie in dieser Zeit ein 800 Seiten Werk über den Schriftsteller Stephen Crane geschrieben. Haben Sie sich mit Crane von Trump abgelenkt?

Ich habe das Buch tatsächlich im Lauf der Trump-Regierung geschrieben. Eines der faszinierenden Dinge, dabei war, dass ich bei der Recherche über die Zeit, in der Crane gelebt hat, das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts, enorme Parallelen zu unserer heutigen Zeit gefunden habe.

Inwiefern?

Sowohl im Hinblick auf die Rassenbeziehungen, als auch im Hinblick auf die ökonomischen Beziehungen in der Gesellschaft, die extreme Kluft zwischen Arm und Reich. Es kam mir also plötzlich so vor, als würde ich über sehr dringliche Dinge schreiben.

Hat Sie zuerst diese Epoche interessiert oder zuerst Stephen Crane?

Stephen Crane. Als ich 4321 fertig geschrieben hatte, war ich sehr erschöpft und habe etwas Pause gebraucht. Ich habe mir selbst auferlegt, mehrere Monate lang nichts zu schreiben. Ich habe während dieser Auszeit viele Bücher gelesen, die ich schon immer lesen wollte. Dabei bin ich auf einen Stehen Crane Band in meinem Regal gestoßen und habe angefangen darin herum zu blättern. Ich hatte mir Crane nicht mehr ernsthaft angeschaut, seit ich Student war, und er hat mich total umgehauen.

Was hat Sie so fasziniert?

Es war eine Offenbarung, dass es Ende des 19. Jahrhunderts jemanden gab, der dazu in der Lage war, so zu schreiben. Also habe ich mir immer mehr Werke von Crane besorgt. Irgendwann hatte ich sein gesamtes Werk gelesen – alle 3200 Seiten, geschrieben von einem Mann, der mit 28 gestorben ist. Danach habe ich mich mit seinem faszinierenden Leben auseinandergesetzt, aber noch immer nicht mit der Absicht, etwas über ihn zu schreiben. Irgendwann habe ich mir dann aber doch gesagt, dass ich vielleicht etwas Kurzes über Crane schreiben sollte, vielleicht 100, 150 Seiten. Ich dachte, es könnte meine Art sein, mich vorsichtig wieder an das Schreiben heran zu tasten. Nun, was soll ich sagen, es sind  800  Seiten daraus geworden. Ich konnte mir nicht helfen, ich wollte in die Nervenstränge seiner Lyrik und seiner Prosa eintauchen und ergründen, was da passiert und warum es funktioniert.  

In Deutschland kennen nur die allerwenigsten Menschen Stephen Crane. Erklären Sie uns doch, was Sie an ihm so fasziniert.

Man findet bei ihm eine außergewöhnliche Kombination von physischer Wahrnehmung – nicht nur visueller, sondern auch oraler und taktiler – und einer Fähigkeit, diese Wahrnehmungen in eine lebendige Sprache zu übersetzen. Crane war ein Meister der Gleichnisse und der Metaphern und er konnte sie raushauen, wie andere Leute Donuts backen. Er schreibt Sätze wie: „Der Bootsmann der Frau hatte ein Gesicht wie der Boden.“ Das bedeutet etwas in dem speziellen Kontext und man versteht es sofort. Oder musikalische Sätze, wie, „Der alte Mann bürstete Hieroglyphen aus seinem Schnauzbart.“ Ich meine - wem fällt so etwas ein?! Oder diese kraftvollen Beschreibungen aus dem spanisch-amerikanischen Krieg in Kuba, wo er als Berichterstatter war.  Da war es drückend heiß und mehr Soldaten starben an Krankheiten, als an Kugeln. Crane schrieb, „Der Himmel war nackt und blau und hat weh getan wie Messing.“ Da denkt man sich, was zum Teufel hat Messing damit zu tun? Und dann überlegt man sich was passiert, wenn man einen Messingteller in großer Hitze nach Draußen stellt und ihn dann anfasst.

Sind Sie eifersüchtig auf Crane?

Eifersüchtig nicht, aber ich habe das Gefühl, dass er genau die Art von Schriftsteller war, zu dem ich immer werden wollte. Er hat alle sprachlichen Konventionen seiner Zeit über Bord geworfen. Nehmen wir sein berühmtestes Buch „Red Badge of Courage“. Es dreht sich um eine Schlacht im Bürgerkrieg. Aber er verwendet nicht ein einziges Mal das Wort Bürgerkrieg, er identifiziert niemals die beiden Seiten, er verwendet nicht ein einziges Mal das Wort Sklaverei, er erwähnt nicht ein einziges Mal den Namen Abraham Lincoln. Es wird alles auf das Wesentliche reduziert.

Es war dem Grauen dieses Augenblicks vollkommen angemessen, deshalb ist es ein Klassiker der amerikanischen Literatur.

Es ist sehr profund. Crane hat im Verlauf seiner Karriere  zu einer sehr existentialistischen Position gefunden. Die Götter sind verschwunden, wir sind der Natur völlig egal und wir sind alleine im Kosmos. Und doch haben wir eine moralische Verpflichtung, uns umeinander zu kümmern und in der menschlichen Solidarität Bedeutung zu finden. Es gibt eine Zeile in dem Buch „The Blue Hotel“, die lautet, „jede Sünde ist das Ergebnis einer Kollaboration.“ Das ist für mich einer der bedeutendsten Sätze der amerikanischen Literatur.  

Also, Sie haben sich mit der Arbeit an Crane von der politischen Situation in den USA abgelenkt.

Das hat sich nicht gegenseitig ausgeschlossen. Siri und ich sind politisch sehr aktiv, seit Trump gewählt wurde. Wir haben uns einer Gruppe angeschlossen, die ursprünglich „Schriftsteller gegen Trump“ hieß. Nachdem Biden gewählt wurde, haben wir uns unbenannt in „Writers for Democratic Action“. Wir haben mit sieben Leuten angefangen, jetzt sind wir knapp 3000. Also das ist nicht Nichts.

Was tun die „Writers for Democratic Action” jetzt, nach Trump?

Ich habe immer gesagt, es ist besser, sich mit intelligenten Leuten zu unterhalten, die auf derselben Wellenlänge senden, als sich zu verkriechen, auf den Fingernägeln zu kauen und darauf zu warten, dass die Decke einstürzt. Wir informieren uns darüber, was los ist im Land. Das Thema, auf das wir uns dabei im letzten Jahr konzentriert haben, sind die Wählerrechte, die in den USA massiv bedroht sind. Das ist zur Zeit das größte Problem unserer Demokratie.  

Sie haben, wie Archibald Ferguson, die Hauptfigur von 4321, in den 60er Jahren an der Columbia Universität studiert, die damals ein Zentrum der Studentenproteste war. Ferguson berichtet über die Proteste, entschließt sich aber dazu, neutral zu bleiben und vertieft sich in Kunst und Literatur, anstatt in die Politik. War das bei Ihnen auch so?

4321 ist kein autobiografischer Roman. Ich teile zwar mit Ferguson dieselbe Zeit und dieselben Orte und es gibt bestimmte Begebenheiten, die ich tatsächlich erlebt habe, aber absolut nichts Wesentliches, das muss ich betonen. Ich erzähle ja vier verschiedene Versionen der Geschichte von Archie Ferguson aber keine der Versionen von Ferguson hat sich in den 60er Jahren so verhalten, wie ich, außer vielleicht dem letzten, der auch Schriftsteller wird. Aber seine Position, sich aus der Politik heraus zu halten, war sehr viel extremer, als meine. Ich war damals sehr in alles involviert, was sozial und politisch los war. Und natürlich gehörten meine Sympathien der Linken, ich war gegen den Vietnam Krieg und für die Bürgerrechte. Aber meine Priorität war es natürlich, mich auf eine Existenz als Schriftsteller vorzubereiten. Ich bin auf viele Märsche und Demos gegangen, aber ich war nie bei den Sitzungen dabei und habe nie Flugblätter verteilt. Aber als die Columbia University besetzt wurde, war ich dabei und ich bin auch verhaftet worden. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung

Aber dann hatten Sie erst wieder das Bedürfnis, wirklich politisch aktiv zu werden, als Trump an die Macht kam?

Ganz passiv war ich in der Zwischenzeit nicht. Ich habe Artikel über politische Dinge geschrieben, ich habe Reden gehalten. Ich war im PEN sehr aktiv, ich habe beispielsweise den PEN vertreten, als Rudy Giuliani Bürgermeister von New York war und er eine Ausstellung am Brooklyn Museum wegen Öbszönität schließen lassen wollte. Ich habe mich für den zum Tode verurteilten Journalisten Mumia Abu Jamal eingesetzt, der angeklagt worden war, einen Polizisten erschossen zu haben. Wir haben es letztlich geschafft, ihn vor der Vollstreckung zu bewahren. Ich habe während der Fatwa gegen Salman Rushdie ein Pamphlet geschrieben und und Pamphlet wurde am fünften Jahrestag der Fatwa in jedes verkaufte Buch der USA gesteckt. Und natürlich habe ich mich mit Erdogan angelegt.

Erdogan hat Sie persönlich als „zionistischen Feind des türkischen Volkes“ bezeichnet.

Ja, das hat mich sehr stolz gemacht. Es war das erste Mal, dass ich ein Scharmützel mit einem Diktator hatte. Das war ziemlich genau um meinen 65ten Geburtstag herum. In den USA ist das das Datum, ab dem man offiziell als alt gilt und so hat es sich gut angefühlt, noch einmal wie ein junger Mann zu kämpfen.

Um auf Ihren Geburtstag zurück zu kommen, Sie sind 1947 geboren, das war eine sehr optimistische Zeit für Amerika …

Ja, einerseits, aber es war auch die Zeit des beginnenden Kalten Kriegs und der Panikmache gegen die sogenannte rote Gefahr. Wir neigen dazu, nostalgisch auf diese Zeit zurück zu schauen, aber die Dinge waren schon damals sehr spannungsreich in den USA. Sehen Sie, wann immer Sie sich die Geschichte genauer ansehen, werden Sie feststellen, dass es damals genau so beschissen war wie heute, ganz egal zu welcher Zeit. Es gab niemals ein goldenes Zeitalter. Aber, um auf meinen Geburtstag zurück zu kommen, ich bin sehr zufrieden, ich hatte bislang ein gesegnetes Leben. Ich hatte das Glück, genau die Arbeit zu tun, die ich tun wollte und ich habe nie gedacht, dass das möglich wäre. Es war mein Ehrgeiz, ein einziges Buch zu schreiben, das gut genug ist, um es zu veröffentlichen. Dass ich so viel mehr erreicht habe, das überrascht und erstaunt mich bis heute. Das andere ist, dass ich unendlich dankbar für Siri bin, sie ist wirklich die bemerkenswerteste Person, die mir je begegnet ist und ich habe das unendliche Glück mit ihr zusammen leben zu dürfen.

Sie klingen, wie ein glücklicher Mann.

Ich kann nur sagen, dass ich, je älter ich werde und je mehr meine Zeit auf dieser Welt zusammen schrumpft, desto mehr bin ich in der Lage, das Leben zu schätzen. Das ist vielleicht das einzige, was gut daran ist, wenn man alt wird.