Bildunterschrift

Bewaffnete Milizen hatten unter Donald Trump ihre Hochzeit. Einige von ihnen wollen den Kampf gegen die Biden-Regierung fortsetzen. Focus war beim Training in den Wäldern Pennsylvanias dabei 

Focus 19/2021

 

Die Rebellion beginnt auf dem Parkplatz eines WalMart.

Christian Yingling sitzt in Kampfmontur auf der Ladefläche seines Pickup Truck, sein hageres Gesicht starrt ernst in die Ferne, wo die waldigen Appalachengipfel von Zentral-Pennsylvania golden in der Abendsonne glühen.  „Folgende Lage“, sagt er schnittig in die Runde seiner umstehenden Getreuen, die aufmerksam an seinen Lippen hängen.

„Die Bundesregierung zwingt die gesamte Bevölkerung zur Covid-Impfung. Ihr seid an der Grenze zu New York, alle Straßen sind gesperrt. Ihr habt 15 Minuten und 50 Dollar um alles ein zu kaufen, was ihr braucht, um Euch nach Hause durch zu schlagen.“

Als Yingling auf die Uhr schaut und „Los“ ruft rennen vier Mann in Uniform zum Speed Shopping in den Mega-Supermarkt, um sich für den Ernstfall einzudecken. Die Szene ist Comedy-tauglich, doch Yingling ist es bitter ernst. 

Die Einkaufstour ist die erste Übung einer neu gegründeten, bewaffneten Bürger-Miliz, einer von Hunderten von Gruppen in den USA, die es sich auf die Fahne geschrieben haben, sich selbst und ihre Mitbürger vor den Übergriffen der Regierung zu schützen. Wenn es sein muss, mit Gewalt.

Und dazu, das glaubt Yingling ganz fest, besteht zur Zeit so viel Grund, wie noch nie.  Erst vor drei Wochen, nachdem ein Amokläufer in einem Supermarkt in Colorado mit einer halbautomatischen Waffe 10 Menschen umgebracht hat, hat Joe Biden ein Maßnahmenpaket zur Reduzierung der Waffengewalt angekündigt. Darunter ein Verkaufsverbot von Vorrichtungen, die Pistolen in Schnellfeuerwaffen verwandeln.

 

Für Milizionäre wie Yingling ist das ein tiefrotes Tuch. Der zweite Verfassungszusatz, der jedem Amerikaner das Recht garantiert, Waffen zu tragen, ist für sie ein Heiligtum. Auf den Uniformen von Yinglings Truppe steht das Motto „Molon Labe“ – Griechisch für „kommt und holt sie Euch.“ Das Zitat wird Leonidas am Vorabend der Schlacht bei den Thermophylen zugeschrieben, nachdem Xerxes ihn aufgefordert hatte, die Waffen seiner Männer zu übergeben.

„Es ist das Grundrecht, das alle anderen Grundrechte schützt“, sagt Yingling, während seine Beine von seinem Truck baumeln und er auf die Stoppuhr schielt, die für seine Kampfeinkäufer tickt. Nur eine bewaffnete Bürgerschaft, so der Glaubenssatz von Yingling und seiner Gefolgschaft, verhindere Tyrrannei.

Deshalb sind sie auch bis an die Zähne bewaffnet, jenes Häuflein selbsternannter Freiheitskämpfer, die an diesem Wochenende im April Yinglings Ruf gefolgt sind, sich zur Gründung einer neuen Miliz in Bergen von Pennsylvania zu treffen - einer klassischen Region von Trump-Wählern. Der Niedergang der amerikanischen Stahlindustrie und der Eisenbahn, die seit 150 Jahren die Gegend prägen, hat hier eine Wüste der Verbitterung und einen fruchtbaren Nährboden für Rechts-Populismus hinterlassen.

So gleicht die Jagdhütte in den Wäldern oberhalb der Eisenbahnerstadt mit dem trefflichen Namen New Freedom an diesem Wochenende einem Armee-Arsenal. Jeder der Milizionäre hat einen Koffer mit einem halbautomatischen Sturmgewehr dabei, Kostenpunt zwischen 1500 und 2000 Dollar. Die guten Stücke werden bei der Ankunft am Freitagmittag zusammengebaut, herumgereicht, bewundert und zärtlich abgetastet.  

Es ist die Art und Weise, wie die Männer zueinander finden und ihren Bund erneuern. Sie alle kennen sich schon von der Vorgängerorganisation der neuen Miliz, der einst stolzen Pennsylvania LightFoot, die auf dem Höhepunkt ihres Wirkens unter der Trump Regierung mehr als 300 Mitglieder hatte.

Doch dann kamen der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar und der Regierungswechsel in Washington. Schon Tage nach seinem Amtsantritt erklärte Biden den Kampf gegen den „Terrorismus von Innen“ zu einer nationalen Priorität. Die Behörde für Heimatschutz bildete eine Sondereinheit und gibt fortan 7,5 Prozent ihres Budgets für die Ermittlung gegen rechte Gruppen aus. Das FBI hat die Kapitolstürner vom 6. Januar und ihr Umfeld in das Fadenkreuz genommen, es wird gegen rund 300 Menschen ermittelt 

Milizen werden seither als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft. Die sogenannten „Oathkeepers“, eine bundesweit operierende Miliz, hatte nachweislich an der Planung des Sturms auf das Kapitol mitgewirkt und war mit einem gut organisierten Trupp dabei. 

So hat Christian Yingling  ernste Worte an seine Männer zu richten, nachdem sie von ihrer Speed-Shopping Übung zurück in die Jagdhütte kommen. Man setzt sich in eine Ecke der Hütte, die Journalisten werden gebeten, die Aufnahmegeräte auszuschalten.

„Wir sind jetzt unter dem Mikroskop“, sagt Yingling und schaut dabei bedeutungsschwanger in die Runde. „Die neue Regierung versucht uns als Terroristen ab zu stempeln.“ Selbst einige der Anwesenden hätten den Stiefel des Gesetzes im Nacken gespürt. Erst in der vergangenen Woche habe das FBI das Haus von Yinglings Vize, dem 53 Jahre alten Bob Gardner, auf den Kopf gestellt und ihn verhört. Beinahe jeder, der einmal in einer Miliz aktiv war, sei nun von Facebook und Twitter gesperrt.

„Viele gehen deshalb jetzt in den Untergrund“, sagt Yingling. Die Mehrheit der ehemalige Light-Foot und anderer Organisationen distanzieren sich von der Szene und haben den Kontakt untereinander abgebrochen. 

Doch Yingling ist entschlossen, sich von der neuen Regierung in Washington nicht unterkriegen zu lassen. „Wer jetzt in den Untergrund geht“, sagt Yingling zu seinen Männern, „dem ist es nicht ernst damit, die Verfassung zu verteidigen“. Gegen Biden, gegen die Linken, gegen ein totalitäres Regime in Amerika, das er am Horizont sieht.


Deshalb schaut Yingling jedem der Männer in die Augen und fragt sie einzeln, ob sie bedingungslos dazu bereit sind, ihm zu folgen. „Deckst Du mir den Rücken, egal was kommt?“ Die Antwort ist jedesmal ein inbrünstig vorgetragenes „Jawohl Sir.“


Yingling ist ein Veteran der Milizenbewegung, die in ihrer heutigen Form auf die Zeit der Obama Regierung zurück geht. Die Wahl Obamas löste damals die „zweite Welle“ bewaffneten Widerstands gegen die Bundesregierung  aus, der Mitte der 90er Jahre seinen ersten Höhepunkt gefunden hatte. Damals hatte die Belagerung der „Davidian“ Sekte in Waco, Texas durch das FBI eine Aufrüstung der rechten Szene ausgelöst. Man berief sich auf die Milizen der Kolonialzeit, die den Sieg der Amerikaner gegen die tyrannische britische Krone gesichert hatten. 

Die Abneigung gegen Obama erweckte diese Bewegung dann aus ihrem Dämmerzustand. Laut Schätzungen des „Southern Poverty Law Center“, einer Watch Dog Group, die rechtsextreme Organisationen beobachtet, schnellte nach 2009 die Anzahl von Milizen von knapp über 100 auf mehr als 300 in den USA in die Höhe. 


Christian Yingling verspürte von Anfang an eine Affinität zu dieser Bewegung. „Ich wollte nichts sehnlicher, als da irgendwie dazu zu gehören“, erinnert er sich. Nach einer schwierigen Kindheit, geprägt von Instabilität, Drogen und Alkohol und seinen folgenden sieben Jahren im Militär, fehlte ihm etwas in seinem Leben. 


Seine große Gelegenheit kam im Jahr 2014. Im Verlauf des Jahres hatte sich der Fall des Ranchers Cliven Bundy in Nevada zum Kristallisationspunkt der rechten Anti-Regierungsbewegung entwickelt. Nachdem die Bundy Familie über Generationen ihr Vieh kostenlos auf öffentlichem Land hatte weiden lassen, wollte die Regierung unter neuen Umwelt-Auflagen plötzlich Gebühren erheben. Bundy weigerte sich zu zahlen, das „Bureau of Land Management“  drohte, seine Rinder zu konfiszieren.

Als die Lage eskalierte und immer mehr Milizen aus dem ganzen Land nach Nevada fuhren, hielt es auch Yingling nicht mehr an seinem Schreibtisch in Pennsyvlania. Er packte sein Gewehr und fuhr nach Nevada. 

Der massive Aufmarsch von schwer bewaffneten Milizionären zwang damals das FBI, sich zurück zu ziehen. Der Vorfall wurde als Triumph der Bewegung, gefeiert, die Teilnehmer wie Yingling wurden als Helden gefeiert. Plötzlich war Yingling jemand in der Szene. „Jeder rief mich auf einmal an.“

Yingling stieg rasch auf in der Szene. Schon ein Jahr später war er Kommandant der Pennsylvania Light Foot, eine der größten und einflussreichsten Milizen der USA. Er hielt Wochenende für Wochenende Ausbildungslager und Schießübungen ab und koordinierte Aktionen mit anderen Milizen – meist martialische Auftritte bei Kundgebungen.

Yinglings großer Moment im Rampenlicht kam jedoch im August 2017, als sich rechte Gruppen vom Ku Klux Klan bis zu Neo-Nazistischen Organisationen in Charlottesville trafen, um gegen die Schändung von Südstaaten Monumenten durch linke Organisationen und demokratische Regierungen zu demonstrieren. Yinglings Light Foot bauten sich in voller Montur und mit durchgeladenen Sturmgewehren zwischen linken und rechten Demonstranten auf und trugen dazu bei, dass die Gewalt nicht noch mehr eskaliert als ohnehin schon. 

https://www.theguardian.com/us-news/2017/aug/15/charlottesville-militia-free-speech-violence


Yingling war plötzlich überall im Fernsehen zu sehen. Und als Donald Trump am Tag nach den Vorfällen davon sprach, es habe „gute Leute auf beiden Seiten“ gegeben, fühlte Yingling sich persönlich gelobt.

Dennoch wehrt sich Yingling dagegen, dass er und die seinen „Trumps Armee“ seien. Und von den Leuten, die am 6. Januar das Kapitol gestürmt haben, will er sich deutlich distanzieren. „Das FBI und manche Medien versuchen, das als hoch organisiertes Komplott dar zu stellen“, sagte er. Doch das Gegenteil sei der Fall gewesen: „Das war ein wilder Mob, der nicht wusste, was er will.“  Das sei nicht sein Stil. Wenn Milizionäre etwas planen, dann habe das Hand und Fuß.

Es ist Samstagfrüh in der Jagdhütte und die Milizionäre sitzen bei starkem Kaffee, Eiern und Speck zwischen Hirschgeweihen beim Frühstück. Schon kurz nach Sonnenaufgang stoßen zwei weitere Kameraden zu der Truppe. Es gibt innige Umarmungen und Schulterklopfen rundum, wie das eben unter alten Kampfgefährten so ist.

Einer der beiden ist John Wagner, den sie „Wags“ nennen. Wags, ein jovialer Mitvierziger mit einem ansehnlichen Bauch, kommt direkt von seiner Nachtschicht als Lokomotivführer, aber er wollte auf keinen Fall das Gründungstreffen verpassen. 

Wie Yingling und drei andere der nunmehr sechs Milizionäre ist Wags Ex-Militär. 12 Jahre lang hat er gedient, er war im Irak stationiert, in der Türkei und in Deutschland und er hat reichlich Geschichten aus dieser Zeit.  

Die Nostalgie nach der Militärzeit verbindet die Männer, der ganze Vormittag wird mit Kommiss-Stories verplaudert. Die Vorbereitung auf die Rebellion kann warten. Zugleich wird klar, dass die Bedenken des FBI über die Nähe des US-Militärs zu Milizen überaus berechtigt sind.

Bis hierhin ist der Samstag ein Veteranen Stammtisch-Treffen braver Familienväter. Schließlich, gegen Mittag, wirft man sich dann aber doch noch in die Uniformen, baut umständlich die High-Tech Gewehre zusammen und schnallt sich Pistolen an die Hüfte. Es geht hinaus auf die Wiese, Yingling hat eine „Reaction und Response“ Übung geplant. Es gibt zwei „Trocken-Durchläufe“, beim dritten Mal wird auf den imaginierten Feind hinter den Bäumen scharf geschossen, während man wie John Rambo durch das Gras schleicht.

Die Übung hebt die Stimmung, die Wochenendkrieger fühlen sich verjüngt, auch, wenn bei manch einem die Knie zu ramponiert sind, um sich zum Schießen hinter einen Strauch zu knien. Man sitzt gelöst auf der Veranda in der Sonne und plaudert in den Abend hinein.

Jetzt fließen auch die politischen Ansichten immer freier, die anwesenden Reporter geraten in Vergessenheit. Man hört, dass der Bürgerkrieg eigentlich ein zweiter Unabhängigkeitskrieg gewesen sei und dass man es satt habe, sich für die Sklaverei zu entschuldigen. Es wird über die Gewerkschaften hergezogen und darüber, dass Biden mit seiner Ausgabewut den Dollar entwertet, „bis er nicht mehr wert ist, als ein Stück Klopapier.“ Und natürlich wird sich immer wieder über die Beschneidung des heiligen Rechts auf Waffenbesitz ereifert.

Nur, als man Yingling darauf anspricht, was denn nun die Ziele der neuen Miliz seien, wird er wieder vage. „Die Verfassung zu verteidigen, wenn es sein muss bis zum Tod“, sagt er. Wie genau ein solcher Fall aussehen könnte, mag er nicht näher ausmalen. Sicher ist nur, dass er darauf vorbereitet sein will.