Bei den US-Zwischenwahlen hat Floridas erzkonservativer Gouverneur Ron DeSantis gute Chancen, zum mächtigsten Republikaner aufzusteigen. Was hat er vor?

Focus, 28.10.2022

Das Event ist als großer Auftakt für die heiße Phase des Gouverneurswahlkampfs von Florida angekündigt, der „wichtigsten Wahl unseres Lebens“, wie keiner der geladenen Sprecher zu betonen versäumt. Doch die Szene verströmt nur wenig Dringlichkeit oder Begeisterung.

 

Vielleicht 50 Leute haben sich auf dem Parkplatz eines Gewerkschaftsgebäudes inmitten einer Sozialbausiedlung der Hafenstadt Jacksonville eingefunden um den demokratischen Kandidaten, Charlie Crist, anzufeuern. Ein klägliches Häuflein, wenn man bedenkt, dass es nach den Worten von Crist und seiner Parteigenossen nicht nur um die Zukunft Floridas sondern um die Zukunft der amerikanischen Demokratie insgesamt geht. Die Versuche der Staatsabgeordneten Tracie Davis die Menge zum Skandieren von Parolen wie „Vote them out“ – „Wählt sie ab“ – zu animieren, heben die bedrückte Stimmung nur vorübergehend. Das Gefühl, dass man hier angesichts vernichtender Umfragewerte eine hoffnungslose Schlacht schlägt, lässt sich nur schwer abschütteln.

 

Auch der Hauptredner des Abends vermag diesen Eindruck nicht nachhaltig zu verändern. Crist, der schon einmal als Gouverneur des Sonnenstaates gedient hat, ist ein schmächtiger Mann mit weißem Haar und seiner fünfminütigen Ansprache mangelt es deutlich an Inspiration. Stattdessen liefert er ein weinerliches Lamento über die Verfehlungen seines Gegners ab, des amtierenden Gouverneurs Ron De Santis. Unerträglich arrogant sei dieser, die Menschen des Staates kümmerten ihn nicht. Ihm gehe es alleine um seine Milliardärs-Freunde und seine Ambitionen, 2024 Präsident zu werden.

 

In der Tat gilt DeSantis derzeit als aussichtsreichster Herausforderer Donald Trumps an der Spitze der republikanischen Partei – auch wenn der Sohn einer Krankenschwester und eines Fernsehmonteurs bisher sorgsam vermeidet, sich offen gegen Trump zu stellen. Voraussetzung dafür, dass er sich für 2024 in Position bringen kann, ist jedoch, dass er bei den US Zwischenwahlen am 8. November wiedergewählt wird. Sonst könnte die steile Karriere von DeSantis ebenso plötzlich wieder zu Ende zu sein, wie sie begonnen hat.

 

Die aufrechten Demokraten von Florida versuchen den Aufstieg von DeSantis nicht zuletzt deshalb zu stoppen, weil DeSantis als eine schlimmere Version von Trump gilt. Der erst 44 Jahre alte DeSantis hat den politischen Stil Donald Trumps gründlich studiert und kopiert diesen jetzt: „Er benutzt exakt das Drehbuch von Trump“, sagt Mary Ellen Klas, Korrespondentin des Miami Herald in der Staatshauptstadt Tallahassee. Dabei, das hat man in Florida in den vergangenen vier Jahren bereits schmerzlich erfahren müssen, geht der in Harvard ausgebildete Jurist noch deutlich strategischer und ruchloser vor als sein politischer Mentor.

 

Anna Eskamani, eine junge, iranisch-stämmige Staatsabgeordnete aus Orlando, beschreibt die Politik von De Santis so: „Er versucht überhaupt gar nicht erst, irgendwelche echten Probleme anzugehen, die wir hier haben. Stattdessen kreiert er ständig neue.“ Obwohl DeSantis als moderater Kandidat angetreten ist, positioniert er sich, seit er im Amt ist, einzig und alleine als eiserner Vorkämpfer des inneramerikanischen Kulturkriegs. Jeder seiner Schachzüge ist dazu angetan, die ultrakonservative Basis aufzuhetzen und durch Provokation nationale Schlagzeilen zu generieren.

 

Zu solchen Schlagzeilen gehörte etwa sein sogenanntes „Don’t say gay“ Gesetz, dass es verbietet, in der Grundschule jegliche Inhalte zu unterrichten, die Gender-Identität oder sexuelle Orientierung auch nur erwähnen. Dazu gehörte auch seine harte Anti-Abtreibungslinie, die in Florida nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs im Frühjahr diesen Jahres Abtreibung extrem erschwert hat. Und dazu gehörte sein jüngster Stunt, der darin bestand, Asylbewerber aus Lateinamerika gegen ihren Willen einfach in ein Flugzeug zu setzen und in den wohlhabenden liberalen Nordosten zu verschicken. Die wachsende soziale Ungleichheit, der Klimawandel, der den Küstenstaat bedroht sowie die immer extremer werdende Waffengewalt schreiten derweil ungebremst voran.

 

Unter Demokraten hat man in Florida deshalb das Gefühl, die Nation vor diesem Mann schützen zu müssen. „De Santis hat in Florida längst begonnen, die Demokratie zu demontieren“, sagt Karen Morian, Geschichtsprofessorin an der Universität von Florida, die nach Jacksonville gekommen ist, um Crist und die anderen demokratischen Kandidaten, die sich heute hier ihren Wählern zeigen, zu unterstützen. „Euch in Deutschland würde das sehr vertraut vorkommen, was hier passiert.“

 

Morian meint damit nicht so sehr die repressiven Gesetze und Verordnungen, die DeSantis erlassen hat. Viel schlimmer findet sie, dass er auf allen Ebenen der Staatsbürokratie Posten mit seinen Gefolgsleuten besetzt und dabei stets demokratische Prozesse umgeht: Von Universitätspräsidenten über Wahlamtsleiter bis hin zu Richtern. Am bedenklichsten findet Morian dabei DeSantis‘ Polizei-Sondereinheit zur angeblichen Verhinderung von Wahlbetrug. Die Einheit, die DeSantis direkt untersteht, hat schon jetzt wiederholt Wähler verhaftet, die versucht hatten, sich zur Wahl zu registrieren, obwohl sie angeblich kein Wahlrecht besitzen. „Das ist Einschüchterung von Wählern mit Hilfe der Staatsgewalt.“ Faschistische Methoden, wie Morian unumwunden sagt.  

 

Ähnlich Besorgniserregendes berichtet Mary Ellen Klas aus ihrem Metier. „De Santis hat die freie Presse praktisch ausgeschaltet. Er führt Krieg gegen uns.“ In vier Jahren gab es nur ein einziges Interview mit einem unabhängigen Medium, der Gouverneur spricht exklusiv mit rechten Propaganda-Plattformen. Pressekonferenzen werden an Reporter etablierter Publikationen gar nicht oder erst im letzten Augenblick bekannt gegeben. Unbequeme Fragen muss DeSantis auf diese Weise nicht beantworten.

 

Doch die Demokraten von Florida betonen auch aus noch viel näher liegenden Gründen die Wichtigkeit ihrer Zwischenwahl, als einer möglichen Präsidentschaft von DeSantis in zwei Jahren. Neben 36 Gouverneursposten, werden bei den Wahlen im November das gesamte Repräsentantenhaus sowie die Hälfte des Senats neu gewählt. So ist die Wahl zum einen ein Referendum über die Biden Regierung und die politische Richtung des Landes. Zum anderen wird ganz handfest über die weitere Handlungsfähigkeit der derzeitigen Regierung entschieden.

 

Dabei spielt Florida, wie schon oft bei Wahlen in der Vergangenheit, eine entscheidende Rolle. Sollte es der demokratischen Kandidatin für den Senat, Val Demings, gelingen, ihren Gegner Marco Rubio überraschend zu überflügeln, könnten die Demokraten ihre hauchdünne Mehrheit im Senat behalten und die Handlungsfähigkeit der Regierung in Washington erhalten. Vorausgesetzt, die Demokraten behalten ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus.

Historisch hat die Oppositionspartei in den Zwischenwahlen immer einen Vorteil und in diesem Frühjahr sah es in den Umfragen auch so aus, als würde das Repräsentantenhaus klar an die Republikaner gehen. Doch das Abtreibungsurteil des Obersten Gerichtshofs, das auch vielen konservativen Wählerinnen als zu harsch erschien, hat den Demokraten wieder Rückenwind verschafft. Die neuesten Umfragen sehen deshalb in beiden Parlamentskammern einen knappen Ausgang voraus.

 

Eine Niederlage für die Demokraten in nur einer der Kammern könnte jedoch bereits einen dramatischen politischen Richtungswechsel für die USA bedeuten. So geht man davon aus, dass bei einer Niederlage der Demokraten im Repräsentantenhaus der Untersuchungsausschuss der Vorfälle des 6. November 2021 eingestellt wird. Stattdessen haben republikanische Abgeordnete bereits angedroht, den Chef der Heimatschutzbehörde Alejandro Mayorkas wegen seiner Einwanderungspolitik abzusetzen. Und sogar ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden gilt nicht als ausgeschlossen. Zumindest wäre jedoch eine Unterwanderung der großen Gesetzesinitiativen Bidens zu erwarten: Die Republikaner würden einfach den Geldhahn für Bidens massive Infrastruktur- und Umweltprogramme oder für die militärische Unterstützung der Ukraine zudrehen.

Im ungünstigsten Fall könnte also das kurze Aufatmen nach der Ära Trump Anfang des kommenden Jahres wieder vorbei sein. Eine Rückkehr der USA zum Rechtspopulismus der Marke Trump oder DeSantis ist schon innerhalb der nächsten Wochen möglich.

 

Genau darauf hoffen freilich die sogenannten „Maga“ (Make America Great Again) – Republikaner, die Konservativen der Marke Trump, die schon in den Vorwahlen die moderateren Kräfte an den Rand der Partei gedrängt haben. Leute wie etwa Jim Waurishuk.

 

Waurishuk ist Vorsitzender der republikanischen Partei des Landkreises Hillsborough im Nordwesten von Florida. Jim ist ein leutseliger älterer Herr und als er den Gast in seinem kleinen Büro an einer breiten Ausfahrtsstraße aus Tampa begrüßt, macht er einen offenen und warmherzigen Eindruck. Doch ein Blick an die Wände des Zimmers reißt einen jäh aus dem Glauben an Jims Harmlosigkeit.

 

Am Eingang hängt eine gigantische Fahne mit der Zahl „45“ – Code für die Präsidentschaft von Donald Trump. Und auch sonst sind die Wände über und über mit Bildnissen von Jims Idol bedeckt, einige davon handsigniert. Über der Brust von Jims Baumwollhemd prangt ein Aufnäher mit dem Trump Slogan „Save America“ – rettet Amerika.

 

Jeglicher Zweifel daran, dass die Republikanische Partei zum Trump-Kult verkommen ist, verfliegt in diesem Zimmer nach Sekunden. Wenn man Jim von Trump sprechen hört, dann meint man, man lausche einem Teenager, der von Taylor Swift schwärmt. Beinahe eine Viertel Stunde lang berichtet er von der Begegnung seiner Tochter mit Trump im Aufzug von dessen Wolkenkratzer in New York.

 

Dabei hat Jim eigentlich selbst einen Lebenslauf vor zu weisen, der sich nicht verstecken muss. Jim hat als Oberst der US Army im Pentagon und im Sicherheitsrat des Weißen Hauses unter George Bush gedient. Dabei hat er, unter anderem, mitgeholfen, die Invasionen des Irak und Afghanistans vor zu bereiten. Als Trump gewählt wurde, war er eigentlich schon im Ruhestand, doch als Trumps designierter Sicherheitsberater Michael Flynn ihn berief, war er bereit, wieder nach Washington zu gehen.

 

Doch Flynn wurde bekanntlich wegen seiner Verbindungen zu Russland nach wenigen Wochen wieder entlassen. Was Jim wiederrum zu allerlei Verschwörungstheorien verführt hat. Für ihn ist ganz klar, dass der „Deep State“, jenes vermeintlich von Obama gelenkte kommunistische Netzwerk in der Regierung, Flynn los werden wollte.

 

Deshalb kann Jim es auch kaum erwarten, dieses Netzwerk ein für alle Mal aus zu heben. Und dazu ist er, wie sein Idol Trump, bereit, jegliches Wahlergebnis in Zweifel zu ziehen - inklusive jenes der Zwischenwahlen im November. „Ich traue den Demokraten nicht über den Weg“ meint er und behauptet, er habe gemeinsam mit der Wahl-Task Force von DeSantis bereits haufenweise Unregelmäßigkeiten aufgedeckt. Überall würden Wahlmaschinen gehackt, Leute würden gegen ihren Willen zur Briefwahl gezwungen und es würden ständig kübelweise gefälschte Briefwahlzettel sichergestellt.

 

Unter besonneneren Gemütern im Süden Floridas bereitet man sich unterdessen angesichts eines solchen politischen Klimas auf das Schlimmste vor. An der Bucht von Naples im Golf von Mexiko, einer beliebten Wohngegend für Ruheständler, sitzen Jeanne Goldberg und Bill Pettinger auf ihrer Veranda und blicken den Ibisen hinterher, die in der Abendsonne über das Wasser gleiten.

 

Bill und Jeanne sind pensionierte Akademiker, Bill war Pharmakologe, Jeanne Radiologin. Beide beobachten mit Sorge, wie in den konservativen Gegenden der USA die Wissenschaft immer mehr an den Rand gedrängt wird und die Religion in die Schulen und Universitäten einzieht. De Santis‘ Bildungspolitik halten sie für katastrophal und wenn er wieder gewählt oder gar Präsident werden sollte, so Bill, wäre das „das Ende für aufgeklärtes Denken.“

 

Doch Bill, der gerade 90 geworden ist, hat nicht vor, sich einfach still geschlagen zu geben. Er lehnt sich schon regelmäßig mit Leserbriefen an die Lokalzeitung aus dem Fenster, in denen er DeSantis und Trump offen mit Mussolini und Hitler vergleicht. Und er wird auch in Zukunft nicht ruhig halten: „Was soll mir schon passieren“, meint er. Wenn es dazu kommt, dann wird Bill, dazu ist er fest entschlossen, seine letzten Jahre dazu nutzen, für das zu kämpfen, woran er sein Leben geglaubt hat. Für Amerika als demokratischer, säkularer Staat. „Amerika ist ein wunderbares Experiment“, sagt er. Und es dürfe noch lange nicht abgebrochen werden.